Podcast Online Unterricht, Folge 2
Den Unterricht vom Lehren hin zum Lernen verschieben.
Dieser Podcast handelt davon, wie es gelingen kann, den Unterricht vom Lehren im Klassenzimmer zum individuellen Lernen zu Hause zu verschieben. Meine ganz persönliche Erfahrung ist, dass dafür die Methode des „flipped classroom“ gut geeignet ist. Die Methode des „flipped classroom“ stammt aus den USA und der deutsche Begriff dafür – umgedrehtes Klassenzimmer – hört sich mehr nach Spielfilm als nach Unterrichtsmethode an. Also bleiben wir beim englischen Begriff.
Was ist das „flipped classroom“? Traditionell wird der Lernstoff im Klassenzimmer vermittelt. Dazu steht der Lehrer vorne an der Tafel und im übertragenen Sinn steht er im Mittelpunkt. Zu Hause sollen die Schüler das Gelernte wiederholen oder einüben. Beim „flipped classroom“ wird dieses Prinzip einfach umgedreht: Die Schüler lernen den Stoff individuell zu Hause und die gemeinsame Kontaktzeit – via Zoom, Skype, Teams, Telefon oder WhatsApp, je nach technischer Ausstattung – wird für die Vertiefung und das Üben genutzt.
Ein paar Beispiele dazu:
- Diktat
Ein Diktat übt das Hören, Verstehen und Schreiben.
Stellen Sie ihren Schülern das Diktat als Audiodatei zur Verfügung. Die Schüler schreiben das Diktat zu Hause und schicken Ihnen den geschriebenen Text zu. Danach erhalten die Schüler die Lösung und können ihr Diktat korrigieren. Ganz zum Schluss treffen Sie sich online – in einer kleinen Gruppe oder sogar individuell mit dem Schüler, in welcher technischen Form auch immer – und besprechen das Diktat, die individuellen Fehler und die Korrektur. - Text
Die Arbeit mit einem Text übt das Lesen und Verstehen, das Kommunizieren und Schreiben.
Stellen Sie ihren Schülern einen Text zur Verfügung, ggf. mit dem neuen Vokabular. Die Schüler lesen den Text allein zu Hause und beantworten dann Fragen dazu oder bestätigen bzw. korrigieren vorgegebene Aussagen anhand des Textes. Besonders gut funktioniert es, die Schüler nach ihrer Meinung zu Aussagen des Textes zu fragen.
Die Schüler schicken Ihnen die Arbeitsergebnisse und Sie sehen sofort, ob der Text im Wesentlichen verstanden wurde oder nicht. Die gemeinsame Online-Zeit können Sie dann gezielt zur Kommunikation über den Text verwenden. - Dialog
Dialoge fördern das Verstehen und Kommunizieren in Alltagssituationen.
Sprechen Sie einen Dialog ein und stellen Sie zuerst die Audiospur zur Verfügung. Lassen Sie die Schüler individuell rückmelden, von welchem Thema der Dialog handelt. Stellen Sie danach den Dialog schriftlich zur Verfügung und geben Sie den Schülern Aufgaben dazu, wie z.B. einen ähnlichen Dialog schreiben und / oder sprechen, Fragen dazu stellen oder zu beantworten. - Grammatik
Grammatik soll die korrekte Verwendung der Fremdsprache einüben. Auch Grammatik kann zu Hause erlernt werden, aber anders als im Präsenzunterricht: Im Klassenzimmer können zu einem Grammatikthema umfangreiche Tafelbilder entstehen, die Grundregel wird erklärt, dann die komplexeren Teilregeln, dann die Ausnahmen, ….
Für den Online bzw. Selbstlernunterricht müssen Sie das in kleine Häppchen zerlegen: Ein kurzes Arbeitsblatt mit nur einer Regel oder ein kleines Tafelbild – abfotografiert – mit den Aufgaben dazu. Erst werden die Aufgaben gut gelöst (und bei der Online-Phase besprochen), dann kommt das nächste kleine Häppchen.
Übungen machen Schülern oft wenig Spaß. Wenn die Übungen interaktiv gestaltet sind, hilft das enorm. Die Übungen werden interessanter und die Schüler können sofort sehen, ob sie richtig gelöst wurden.[1]
Die Beispielreihe ließe sich beliebig fortsetzen. Schreiben Sie einen Kommentar, wenn Sie weitere „geflippte“ Beispiele haben, die bei Ihnen gut funktionieren. Ihre Lehrer-Kolleginnen werden sich freuen.
Die Methode des „flipped classroom“ kann wunderbar funktionieren, wenn man ein paar wichtige Aspekte kennt und berücksichtigt:
- Kleinschrittiger Unterricht
Im Klassenzimmer haben Sie als Lehrer volle Kontrolle. Sie können die Schüler zwingen, sich länger mit einem Thema zu beschäftigen. 45 Minuten Grammatik am Stück? Wenn Sie das im Klassenzimmer so wollen, dann wird es so gemacht. Nicht so im eLearning! Jetzt müssen Sie sich umstellen auf kleinschrittiges Lernen. Kleine Häppchen sind angesagt. Statt einer langen Lektion, an der die Schüler 45 Minuten sitzen sollen (was sie nicht tun werden!) ist es viel besser 3-4 unterschiedliche kurze Lektionen (jeweils mit Rückmelde-Aufgaben) zur Verfügung zu stellen. - Vorbereitung
Das ist wahrscheinlich der Wermutstropfen an der Methode: Sie verlangt vom Lehrer umfangreiche Vorbereitung. Um in der Küchensprache zu bleiben: Wenn Sie ein Büffet mit unterschiedlichen, kleinen, hübschen Häppchen vorbereiten wollen, kostet das einfach viel mehr Zeit als wenn Sie in einem großen Topf eine Suppe zubereiten. Das ist so. Das lässt sich nicht vom Tisch wischen. Vielleicht haben Sie Glück und können mit Kolleginnen Material austauschen.
Einen Vorteil haben die Lern-Häppchen aber auf jeden Fall: Sie sind wiederverwendbar! Das heißt, der Aufwand ist zunächst riesengroß, dann aber verringert er sich. Und die Häppchen lassen sich später auch im Präsenzunterricht hervorragend nutzen. - Alter der Schüler
Je älter die Schüler, desto besser wird die Methode funktionieren. Je jünger die Schüler, desto kleiner müssen die Häppchen sein und desto mehr Unterstützung benötigen die Schüler. - Keine Lerneinheit ohne Lernkontrolle
Jedes Lern-Häppchen – und sei es noch so klein – sollte mit einer rückzumeldenden Aufgabe versehen sein. Und ja, das ist der zweite Zeitfresser für Sie als Lehrer. Denn Sie müssen die Rückmeldungen für den Schüler sichtbar wahrnehmen. - Feedback
Holen Sie sich Feedback ihrer Schüler ein, wenn diese etwas älter sind. Fragen Sie nach, wie sie mit dieser Art des Lernens zurechtkommen und welche Häppchen am besten „schmecken“. Nach ihrer Meinung gefragt zu werden, wird ihre Schüler motivieren und Ihnen selbst wichtige Hinweise geben.
Ganz zuletzt noch eine Idee: Vielleicht kann ihr Muttersprachler-Gesprächspartner Sie auch bei dieser Art des Unterrichts unterstützen und z.B. einen Text einsprechen und eine Audiospur zur Verfügung stellen. Das wäre doch eine wunderbare Hörverständnisübung für ihre Schüler. Oder vielleicht haben Sie und ihre Gesprächspartnerin noch ganz andere Ideen.
Auf jeden Fall wünschen wir als gesamtes Muttersprachler-Team viel Erfolg beim „flipped classroom“!
[1] Eine unserer DaF-Lehrerinnen hat dazu folgenden Software-Tipp: Hot Potatoes! Es gibt eine kostenfreie Version, mit der sich Aufgaben erstellen und als html-Seite, also als „Webseite“ abspeichern lassen. Die Datei kann man dann den Schülern zuschicken.